Erfassung der Arbeitszeit in Deutschland
- simonhsr11
- 15. Juli
- 6 Min. Lesezeit
Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), welches das letztinstanzliche Gericht der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit ist, sind Arbeitgeber in Deutschland verpflichtet, die gesamte Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Die Entscheidung bringt weitreichende Folgen mit sich.
EuGH- und BAG-Entscheidung
Am 14. Mai 2019 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die täglich geleistete Arbeitszeit eines jeden Arbeitnehmers gemessen werden kann (EuGH Rs. 55/18 CCOO). Ziel der Entscheidung des EuGH war es, dass Beschäftigte in der EU die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten einhalten und die Obergrenze der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit beachtet wird. Wie dieses Gesetz ausgestaltet wird, wurde den Mitgliedsstaaten aber selber überlassen.
Das Bundesarbeitsgericht bezog sich in seinem Urteil vom 13. September 2022 auf dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Somit sind die Arbeitgeber verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die ganze von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann (BAG - 1 ABR 22/21).
Die Pflicht zur Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung beschränkt sich nicht nur darauf, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmern ein solches System zur Verfügung stellt. Vielmehr ist der Arbeitgeber verpflichtet, von dem System tatsächlich Gebrauch zu machen.
Bisherige gesetzliche Regelungen zur Arbeitszeiterfassung
Im deutschen Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gibt es aktuell keine Verpflichtung zur generellen Aufzeichnung der Arbeitszeit. Nach § 16 Abs. 2 ArbZG sind Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Es galt somit bisher schon, dass Überstunden und die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen aufgezeichnet werden müssen.
Gesonderte Aufzeichnungspflichten gelten bereits zudem unter anderem für:
geringfügig Beschäftigte (Minijobber),
Arbeitnehmer in den im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Wirtschaftsbereichen,
Arbeitnehmer im Straßentransport,
Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft,
bestimmte entsandte Arbeitnehmer und
bestimmte Leiharbeitnehmer.
Bislang gab es die überwiegende Auffassung, dass im deutschen Recht keine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung existiert. Überraschend hat das BAG aber entschieden, dass bereits jetzt eine generelle Aufzeichnungspflicht besteht.
Spezielle Regelungen für manche Branchen
Für Branchen wie Baugewerbe, Gaststätten oder Fleischwirtschaft gelten nach wie vor etwas speziellere Regelungen: Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit muss aufgeschrieben werden. Die Listen dürfen auch handschriftlich erstellt werden. Die Aufzeichnung der Arbeitszeit kann auch durch den Arbeitnehmer erfolgen, der Arbeitgeber sollte diese Dokumentation allerdings prüfen und überwachen. Unterschriften von beiden Parteien werden nicht benötigt. Unternehmen haben eine Woche Zeit, die Arbeitszeiten zu dokumentieren.
Gilt die Verpflichtung zur Arbeitszeitaufzeichnung nur in Deutschland?
Nein. Das BAG bezieht sich in seiner Entscheidung vom 13. September 2022 auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), welches die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie betraf. Die Richtlinie verpflichtet alle Mitglieder der Europäischen Union, die darin enthaltenen Vorgaben in nationales Recht umzusetzen. Aus diesem Grund besteht die Verpflichtung zur Arbeitszeitaufzeichnung in allen Mitgliedstaaten.
Wie genau muss ein Arbeitgeber die Arbeitszeit erfassen?
Festlegungen zum Inhalt der Arbeitszeitdokumentation sind noch nicht getroffen worden. Aber: Um die Einhaltung der Höchstarbeitszeit sowie der täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten wirksam gewährleisten zu können, muss der Arbeitgeber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jedes Arbeitnehmers aufzeichnen.
Wie muss die Arbeitszeit erfasst werden?
Festlegungen zum Inhalt der Arbeitszeitdokumentation sind noch nicht getroffen worden. Für die Aufzeichnung besteht derzeit keine Formvorschrift; sie kann auch handschriftlich erfolgen.
Kann ein Arbeitgeber die Erfassung auf Arbeitnehmer delegieren?
Nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) kann der Arbeitgeber die Aufzeichnung, so wie bislang, delegieren, wobei er für die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorgaben des Arbeitsschutzes verantwortlich bleibt.
Kann weiterhin eine Vertrauensarbeitszeit vereinbart werden?
Ja. Mit Vertrauensarbeitszeit wird im Allgemeinen ein flexibles Arbeitszeitmodell bezeichnet, bei dem der Arbeitnehmer eigenverantwortlich über die Lage (also Beginn und Ende) der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit entscheiden kann. Der Arbeitgeber "vertraut" dabei darauf, dass der Arbeitnehmer seiner vertraglichen Arbeitsverpflichtung nachkommt. Eine Dokumentation der Arbeitszeit steht einer solchen Vereinbarung nicht im Wege.
Die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitschutzes (insbesondere zur täglichen Höchstarbeitszeit und zu Ruhezeiten) dienen dagegen der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer und sind auch bei Vertrauensarbeitszeit einzuhalten. Vertrauensarbeitszeit unter Beachtung dieser Vorgaben ist daher auch weiterhin möglich.
Was gilt hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung für mobile Arbeit?
Die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes gelten auch unabhängig vom Arbeitsort, also z. B. auch im Homeoffice. Das bedeutet, dass die Vorgaben zur täglichen Höchstarbeitszeit und zu Ruhezeiten bereits heute auch bei mobiler Arbeit eingehalten werden müssen.
Das BMAS plant einen neuen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten vorzulegen. Dies ist allerdings noch nicht geschehen.
Wer kontrolliert die Arbeitszeiterfassung?
In erster Linie ist der Arbeitgeber dafür verantwortlich, dass die geltenden Gesetze eingehalten werden; er ist verpflichtet, seinen Betrieb entsprechend zu organisieren.
Arbeitszeitgesetz und Arbeitsschutzgesetz sind zwar Bundesgesetze, die Überwachung der Bestimmungen dieser Gesetze ist jedoch Aufgabe der Bundesländer. Die Länder und die nach Landesrecht bestimmten Arbeitsschutzbehörden (z. B. die Gewerbeaufsichtsämter) sind auch für die Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zuständig. Nur sie - und im Streitfall die Gerichte - können deshalb verbindliche Entscheidungen im Einzelfall treffen. Bei Verstößen können beispielsweise Nachbesserungen verlangt oder gegebenenfalls auch Bußgelder verhängt werden, deren Höhe im Einzelfall der Schwere des jeweiligen Rechtsverstoßes angepasst wird.
Gesetzentwurf 2023
Das BMAS hatte angekündigt, die Entscheidung des BAG aufzugreifen und eine praktikable gesetzliche Regelung vorzuschlagen. Am 18. April 2023 hat es einen Entwurf des "Gesetzes zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften" vorgelegt. Der Entwurf ist ein sogenannter „Referentenentwurf“. Das heißt, es ist ein Gesetzentwurf eines einzelnen Bundesministeriums (hier: BMAS), der noch nicht von der Bundesregierung insgesamt beschlossen worden ist.
Achtung: Die Regelungen sind noch nicht in Kraft. Dies ist aktuell nur ein Entwurf. Wann mit einem Inkrafttreten zu rechnen ist, lässt sich derzeit nicht absehen.
Im Gesetzentwurf 2023 sind folgende Neuregelungen vorgesehen:
(1) Elektronische Form mit Ausnahmen; Übergangsregelung
Jeder Arbeitgeber wird verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aller Arbeitnehmer in elektronischer Form aufzuzeichnen. Mit der Verpflichtung zur elektronischen Erfassung geht der Gesetzentwurf über die Entscheidung des BAG hinaus.
Eine bestimmte Form der elektronischen Aufzeichnung wird nicht vorgeschrieben. Neben den gebräuchlichen Zeiterfassungsgeräten kommen auch andere Formen der elektronischen Aufzeichnung in Betracht wie etwa Apps auf einem Mobiltelefon oder die Nutzung herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme (z. B. Excel-Tabellen). Auch die Nutzung und Auswertung von elektronischen Schichtplänen soll möglich sein, sofern sich aus diesen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer ableiten lassen und Abweichungen von den im Schichtplan festgelegten Arbeitszeiten (z. B. Urlaub, Fehlzeiten oder zusätzliche Arbeitszeiten) gesondert elektronisch erfasst werden.
Für kleine Unternehmen mit bis zu zehn Arbeitnehmern sieht der Gesetzentwurf eine Ausnahme von der elektronischen Aufzeichnungspflicht vor: Diese können die Arbeitszeit auch händisch erfassen. Dies gilt auch für Unternehmen ohne Betriebsstätte im Inland, die bis zu zehn Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden.
Darüber hinaus gilt bezüglich der Aufzeichnungspflicht in elektronischer Form eine nach Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsregelung: Die Pflicht zur Aufzeichnung in elektronischer Form gilt erst ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes. Bis dahin bleibt also die händische Aufzeichnung zulässig. Für Unternehmen mit weniger als 250 Arbeitnehmern verlängert sich diese Übergangsregelung auf zwei Jahre und für Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern auf fünf Jahre.
(2) Personengruppen für die die Arbeitszeiterfassung nicht gilt
Grundsätzlich sind alle Arbeitnehmer von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erfasst. Ausgenommen sind lediglich diejenigen Personengruppen, auf die das Arbeitszeitgesetz auch bislang nicht anwendbar war. Zu nennen sind hier insbesondere „leitende Angestellte“, wobei hier Vorsicht geboten ist: Nicht jede Führungskraft ist automatisch ein leitender Angestellter. Leitende Angestellte kennzeichnet insbesondere, dass sie zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind. Faktisch ist das also ein sehr kleiner Kreis.
(3) Zeitpunkt der Arbeitszeiterfassung
Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit müssen grundsätzlich noch am Tag der Arbeitsleistung selbst – also tagesaktuell – aufgezeichnet werden.
(4) Aufzeichnung an die Arbeitnehmer delegieren
Arbeitgeber können die Aufzeichnung der Arbeitszeit an die Arbeitnehmer delegieren, sie können sich aber dadurch nicht von der sie treffenden Aufzeichnungspflicht freizeichnen. Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass die Arbeitszeit tatsächlich und korrekt aufgezeichnet wird. Dafür sind regelmäßige Stichproben und Kontrollen durchzuführen.
(5) Vertrauensarbeitszeit
Für die Fälle der Vertrauensarbeitszeit sieht der Gesetzentwurf die folgende Regelung vor: Vertrauensarbeitszeit bleibt weiterhin möglich. Die Arbeitszeit muss aber auch hier erfasst werden. Dabei kann der Arbeitnehmer die Arbeitszeit selbst erfassen und der Arbeitgeber auf die Kontrolle der Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten. Der Arbeitgeber muss dann aber gleichwohl „geeignete Maßnahmen“ ergreifen, die sicherstellen, dass Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz vermieden werden. Als Beispiel benennt der Gesetzentwurf entsprechende Meldungen von Verstößen durch ein elektronisches Zeiterfassungssystem.
(6) Aufbewahrungs- und Informationspflicht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeitszeitnachweise für mindestens zwei Jahre und in deutscher Sprache aufzubewahren, um sie etwa für aufsichtsrechtliche Prüfungen, in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren oder auf Verlangen des Betriebsrates vorlegen zu können.
Auf Verlangen der Arbeitnehmer muss der Arbeitgeber diese in geeigneter Weise über die aufgezeichnete Arbeitszeit informieren und einen Ausdruck der aufgezeichneten Arbeitszeit aushändigen oder eine elektronische Kopie übermitteln.
(7) Abweichende Regelungen in einem Tarifvertrag
Die Sozialpartner haben die Möglichkeit, in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung von bestimmten Verpflichtungen abzuweichen: In einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann vorgesehen werden, dass die Aufzeichnung nicht in elektronischer Form erfolgen muss. Weiter kann geregelt werden, dass die Aufzeichnung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann, spätestens aber bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages. Zudem können bestimmte Arbeitnehmergruppen von der Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gänzlich ausgenommen werden.
(8) Geldbußen bei Verstößen
Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht sind nach dem Gesetzentwurf künftig bußgeldbewehrt. Es drohen Geldbußen bis zu 30.000 Euro.
Das ist der aktuelle stand über die Arbeitszeit Erfassung in Deutschland. Bitte beachten sie, dass diese Informationen veralten können. Für eine rechtssichere Beratung, melden sie sich gerne bei uns.




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